Taijiquan ist eine Bewegungs- und Kampfkunst, die unseren Körper gesund erhält.
Die Förderung der Gesundheit durch diese Übungen ist aber nur ein Aspekt. Taijiquan ist
auch ein Weg, auf dem man das körperliche, emotionale, energetische und geistige Potenzial verwirklichen und die eigene Spiritualität finden kann.
Der Weg des Taijiquan hat eine ca. 700 Jahre alte Tradition, seine Wurzeln sind aber Jahrtausende alt und liegen im Daoismus. Das Dao ist das umfassende Prinzip des Universums, dem man sich sprachlich jedoch nur annähern kann. Wie Lao Zi sagte: „Das Dao, von dem man reden kann, ist nicht das ewige Dao.“
Beim Üben des Taijiquan (Taiji = „Das Höchste Prinzip“, quan = „Faust“) kann erfahrbar werden, wie sehr wir Menschen ein Teil des Lebens, der Natur, des Universums sind. Man geht dabei auf Distanz zu den Dingen des Alltags und spürt, wie Freude aufkommt. Das ist keine Flucht vor der Realität – ganz im Gegenteil: Bei diesen Übungen tauchen wir in die Wirklichkeit ein, die oberflächlichen Gedanken verstummen immer mehr und tiefere Schichten unseres Geistes erwachen.
Die Reise zu sich selbst
Über die immer feinere Wahrnehmung des Körpers und über das Erlernen neuer, ganz natürlicher Bewegungen lösen sich alte erstarrte Muster auf und machen Platz für Lebendigkeit und Veränderung. Es ist wie eine Abenteuerreise zu sich selber. Gerade die äußere Genauigkeit und Struktur befreien von Äußerlichkeiten und geben inneren Prozessen Raum. Wir streben also zuerst Genauigkeit, Entspannung, Stabilität und Aufrichtung an – dann wird mit dem inneren Training begonnen und die Verbindung zwischen Geist, Energie und Körper hergestellt. Die Stärkung der Energie durch die Taijiquan-Praxis kann dabei nicht nur die körperliche Gesundheit festigen, sondern auch die Entwicklung der Persönlichkeit und die tieferen Schichten des Selbst unterstützen.
In Beziehung Sein
Taijiquan kann aber nicht nur als spiritueller Weg gegangen werden, sondern auch als Kampfkunst. Dabei wird das, was man sich zuerst in der Form erarbeitet hat, dann mit einem Partner/einer Partnerin ausprobiert, gemeinsam wei- terentwickelt und erforscht. Bei diesen Partnerübungen kommt dann all das zum Vorschein, was unser In-Beziehung- Sein ausmacht – egal, ob zu einem anderen Menschen, zur Umwelt oder ganz allgemein zum Leben.
Nichts bleibt verborgen, wenn man sich auf das „Push Hands“ einlässt. Beim Tuishou (= die Partnerübungen des Taijiquan) wird es erst so richtig spannend. Es ist genau diese Spannung zwischen den Polaritäten, den Yins und Yangs unseres Lebens, diese Harmonie zwi- schen beiden Qualitäten, die alles andere als langweilig ist. Es ist der dyna- mische Wechsel zwischen dem Aufnehmen einer Kraft und dem Abgeben, zwischen voll und leer, zwischen dem Spannen eines Bogens und dem kraftvollen Loslassen des Pfeils, zwischen Aktivität und Passivität.
Bei diesen Übungen erfährt man so Eini- ges über sich selber und wie man auf die Aktivität eines Anderen, bzw. auf die Anforderungen des Lebens reagiert. Als „Push Hands“-Partner versucht man, den Anderen herauszufordern – genau so, wie uns auch das Leben herausfordert, um unser Potenzial herauszu- locken. Gelingt diese Verbindung zum inneren Potenzial, dann fühlen wir uns in diesem Spiel der Energien weder als Verlierer, noch als Gewinner. Es ist eher wie ein humorvolles und durchaus lustvolles Erkennen unseres momentanen Seins und Tuns. Es hat auch keinen Sinn, sich dagegen zu wehren, was jetzt in diesem Moment da ist, denn dann würden wir uns nur von Entwicklung und Wachstum abschneiden.
Im Taijiquan wird diese Haltung als „Investieren ins Verlieren“ bezeichnen – und diese schenkt letztendlich so großen Gewinn. Wir spüren uns selbst und gleichzeitig die Verbindung zum Anderen und erfahren so die Prozesse dieser „bewegten“ Beziehung. Wir nehmen auf eine immer feinere Weise unseren Körper und den des Partners wahr, erfahren uns als Einheit, versuchen in einen tieferen Zustand des Geistes einzutauchen und mit Energie und Intention zu arbeiten.
Getragen vom Universum
Im Taijiquan können also der spirituelle Aspekt und der Aspekt der Kampfkunst nicht voneinander getrennt werden. Es ist ein Weg. Und jedem, der diesen Weg geht, wird immer klarer werden, was mit den folgenden Worten gemeint ist: „Das gesamte Universum ist immer hier und jetzt. Die Natur ist nichts, was außerhalb von uns existiert. Und das Leben und die Welt ist nichts, wogegen man kämpfen müsste, genauso wenig wie gegen unsere eigenen Gefühle, unsere vermeintlichen Schwächen, unsere Wünsche, unser gesamtes Sein.“ Mit dieser Sicherheit lassen sich alle Unsicherheiten des Lebens ertragen. Auch mit dem Druck, den der Alltag mit sich bringt, lernt man auf neue Weise umzugehen. Man entwickelt innere Stärke und Ruhe und lernt, voll Vertrauen in den Fluss des Lebens hinein loslassen.
Und Spaß macht das Ganze nebenbei auch noch!